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Seebrücke und Seenotrettung allgemein
Was ist die Seebrücke und was fordert ihr?
Die SEEBRÜCKE ist eine internationale Bewegung, getragen von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und erwarten von der deutschen und europäischen Politik sofort sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind – kurz: Weg von Abschiebung und Abschottung und hin zu Bewegungsfreiheit für alle Menschen. Mehr Infos: www.seebruecke.org
Wer ist die Seebrücke Seligenstadt?
Die Seebrücke Seligenstadt ist aus den Teilnehmer/innen der “Mahnwache Seebrücke” entstanden, welche sich seit August 2018 jeden Mittwoch auf dem Marktplatz in Seligenstadt trifft. Wir sind Menschen verschiedener Altersgruppen, Herkunft und Hintergründe. Gemeinsam setzen wir uns mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, Veranstaltungen und in Gesprächen gegen das Sterben im Mittelmeer ein. Außerdem verfolgen wir das Ziel, Seligenstadt zum Sicheren Hafen zu machen.
Was sind die Ziele der Seebrücke?
Die Seebrücke fordert von der deutschen und europäischen Politik:
- Sichere Fluchtwege
- Entkriminalisierung der Seenotrettung
- Eine Menschenwürdige Aufnahme von Menschen, die fliehen mussten oder auf der Flucht sind
Was sind die gesetzlichen Grundlagen für die Seenotrettung
„Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffs, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist, jede Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten“
(Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982).
(Art. 98 Abs. 1 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen)
Das Non-Refoulement-Prinzip verbietet eine Auslieferung, Ausweisung oder Rückschiebung einer Person in ein Land, in dem für die betreffende Person ein ernsthaftes Risiko von unmenschlicher Behandlung, Folter oder Verfolgung besteht.
(Art. 3 EMRK, Art. 19 GRCh Abs. 2 Europäische Grundrechtecharta, Art. 33 GFK)
Unzulässigkeit von Kollektivausweisungen ausländischer Personen
(Art. 4 desvierten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention)
Welche Organisationen engagieren sich in der Seenotrettung?
Seit Herbst 2017 ist von Sea-Watch das Rettungsschiff Sea-Watch 3 im Einsatz. Sie ist 55 Meter lang. Ihr Einsatzbereich liegt in der Search-and-Rescue-Zone (SARZone) vor der libyschen Küste.
Von Sea-Watch ist außerdem das Flugzeug Moonbird zur Rettung Schiffbrüchiger unterwegs. Sie wird zusammen mit der Schweizerischen Humanitarian Piolots Initiative (HPI) betrieben. Die Moonbird ist eine einmotorige Cirrus SR22. Ihre Aufgabe ist es die Einsätze zu koordinieren, bei der Suche nach Booten zu helfen und Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.
Mission Lifeline erlangte mit ihrem Schiff Lifeline (ehemals Sea-Watch 2 von SeaWatch) und deren Kapitän Claus-Peter Reisch internationale Bekanntheit. Der Kapitän muss sich seit 2018 für die aus Seenot geretteten Menschen im Mittelmeer vor Gericht verantworten. Gleichzeitig wurde das Schiff über Monate in Malta festgesetzt.
Mit dem Schiff Mare Liberum (ehemals Sea-Watch 1 von Sea-Watch) ist die Berliner Organisation Mare Liberum in der Ägäis unterwegs. Das Schiff wurde 1917 gebaut und hat eine Länge von 21 Metern.
Die deutsche Organisation aus Hamburg SOS Mediterranee arbeitet mit Ärzte ohne Grenzen zusammen, welche sich mit an Board befinden. Das Schiff Aquarius, welches angemietet wurde, rettet vorwiegend Leben vor der libyschen Küste. Die täglichen Kosten für den Einsatz des Schiffes belaufen sich auf 11.000 Euro.
Vom italienischen Projekt Mediterranea, einer Plattform verschiedener italienischer Initiativen, ist die das Schiff Mare Jonio unterwegs.
Von dem Netzwerk junger Europäer*innen JUGEND RETTET ist seit dem 24. Juli 2016 die IUVENTA im Einsatz. Das Schiff ist 33 Meter lang und bietet für 13 Besatzungsmitgliedern sowie 220 geflüchteten Menschen Platz. Das Boot patrouilliert zwischen Libyen und Italien.
Sea-Eye e.V., eine Gründung des Regensburger Unternehmers Michael Buschheuer, ist mit dem 70 Jahre alten Schiff Alan Kurdi vor der Libyschen Küste unterwegs.
Eine kleine Organisation ohne eigenes Schiff ist Resqship aus Hamburg. Sie bieten derzeit auf der griechischen Insel Lesbos medizinische Hilfe für Geflüchtete.
Eine unvollständige Auflistung (Stand: 01.06.2019)
Wo kann ich mich über die einzelnen Organisationen informieren?
- Jugend Rettet: www.jugendrettet.org
- Mare Liberum: www.mare-liberum.org
- Mission Lifeline: www.mission-lifeline.de
- RESQSHIP: www.resqship.de
- Sea-Watch: www.sea-watch.org
- Sea-Eye e.V.: www.sea-eye.org
- SOS Meditarrannee: www.sosmediterranee.de
Wohin müssen Gerettete gebracht werden? Warum nicht nach Libyen oder Tunesien?
“Es ist auch ein Ort, an dem das Leben der Überlebenden nicht mehr weiter in Gefahr ist und an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse (wie zum Beispiel Nahrung, Unterkunft und medizinische Bedürfnisse) gedeckt werden können. Es ist weiter ein Ort, von dem aus Vorkehrungen für den Transport der Überlebenden zu ihrem nächsten oder endgültigen Bestimmungsort getroffen werden können.”Libyen gilt allerdings nicht als “sicherer Ort”, eine Rückführung von Flüchtlingen nach Libyen ist sogar rechtswidrig. Den nächstgelegenen Hafen Lampedusa anzusteuern, hält Schatz deshalb für nachvollziehbar. Das Problem ist weiterhin, dass die libyschen Häfen nicht sicher sind: Das Land befindet sich mitten in einem Bürgerkrieg; lokale Milizen und Schlepperbanden unterhalten in Küstennähe Foltergefängnisse, in denen die Migranten unmenschlichen Torturen ausgesetzt sind. Immer wieder forderten Politiker und Teilnehmer von Diskussionen in sozialen Netzwerken, die Geretteten nach Tunesien zu bringen. Jedoch gibt es in Tunesien kein nationales Asylverfahren. Tunesien hat sich außerdem in der Vergangenheit wenig kooperativ gezeigt und “wiederholt über lange Zeit geweigert, Gerettete – zum Beispiel von Frachtschiffen – anzunehmen” und verfüge über keine Rettungsleitstelle, erklärte der “Sea-Watch”-Sprecher. “Es geht nicht nur darum, Rettungseinsätze auf dem nächsten Stück Land abzugeben, sondern die Überlebenden tatsächlich in einen sicheren Hafen zu bringen.” Ebenso untersagt die Regierung in Tunis das Anlanden von Rettungsschiffen. Der Maghreb-Staat will unter allen Umständen vermeiden, ein Transitland für Flüchtlinge zu werden und hat es deswegen auch abgelehnt, auf seinem Territorium Flüchtlingszentren des UNHCR errichten zu lassen, in denen die Migranten außerhalb der EU-Grenzen ihre Asylanträge für Europa zu stellen.
Was bedeutet Kriminalisierung ziviler Seenotrettung?
Nachdem die staatliche Seenotrettungsmission Mare Nostrum eingestellt wurde, haben zunehmend Zivilpersonen die eigentlich staatliche Aufgabe, Menschen aus Seenot im Mittelmeer zu retten, übernommen.
So haben sich verschiedene zivile Seenotrettungsorganisationen, wie z.B. Sea Watch, Jugend Rettet oder Pro Activa Open Arms, gegründet. An den Crews der Seenotrettungsorganisationen soll nun ein Exempel statuiert werden.
Die Crews bestehen zum größten Teil aus Ehrenamtlichen, die ihren Urlaub oder ihre Freizeit auf dem Mittelmeer verbringen, um Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren. Dafür werden sie nun vor Gericht gestellt, teilweise wegen “Beihilfe zur illegalen Migration”, aber auch wegen angeblich falsch ausgefüllter Formalia bei der Anmeldung der Rettungsschiffe.
Die Aufgabe, Menschen aus Seenot zu retten, liegt eigentlich in der Verantwortung der Europäischen Union. Diese verteidigt aber mit zunehmender Härte ihre Außengrenzen und die zivilen Seenotretter sind da lästige Beobachter und Augenzeugen.
Wir sagen hier ganz klar: Seenotrettung ist kein Verbrechen.
Die Europäische Union, Trägerin des Friedensnobelpreises, stellt sich gegen diese auch gesetzlich festgeschriebene Grundregel und trägt damit direkt zu mehr Toten an den Außengrenzen bei.
Wir können uns nicht auf Menschenrechte, Aufklärung und Humanismus berufen und gleichzeitig die Rettung Ertrinkender kriminalisieren. Wer dabei ist zu ertrinken, dem muss geholfen werden, egal um wen es da geht.
Seenotretter*innen sind doch nur Schlepper/Menschenhändler. / Ist Seenotrettung ein sogenannter PullFaktor?
Die simple Antwort: Nein.
Niemand lässt leichtfertig sein gesamtes Leben hinter sich und niemand steigt freiwillig in ein kaum seetaugliches Boot, um über das Mittelmeer zu fahren. Menschen fliehen nicht grundlos, sondern weil sie keine andere Wahl haben. Der Sommer 2018 war der tödlichste seit Beginn der Zählung von Toten im Mittelmeer, obwohl keine zivilen Rettungsmissionen ausfahren durften. Das zeigt, dass Menschen auch dann fliehen, wenn es keine Seenotrettungsschiffe mehr gibt. Man kann hier ganz klar sagen: mehr Rettungsschiffe bedeuten nicht mehr Flüchtlingsboote, aber weniger Schiffe bedeuten mehr Tote. Eine Studie der Universität Oxford belegt zudem auch wissenschaftlich, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zahl der privaten Rettungsschiffe und der Zahl der Überfahrten gibt.
Matteo Villa, Migrationswissenschaftler am „Italian Institute for International Political Studies“, hat erfasst, wie viele Menschen von der libyschen Küste ablegen und an wie vielen dieser Tage Boote von privaten Seenotrettungsorganisationen in der Nähe sind. Die Daten dazu sammelt er unter anderem von den Vereinten Nationen, aus der Presse und dem italienischen Innenministerium. Sein Ergebnis für die Zeit von Anfang Januar bis Ende Juni 2019: An den 31 Tagen mit NGOs in der Nähe schickten Schlepper im Schnitt 32,8 Menschen aufs Meer. An den 150 Tagen, an denen keine NGOs in der Nähe der libyschen Küste fuhren, legten im Schnitt 34,6 Menschen ab.
In einer viel beachteten anderen Studie verglichen Sozialwissenschaftler der Universität Oxford und der Scuola Normale Superiore in Florenz drei verschiedene Jahre miteinander. Ihre Auswertung zeigt: In Jahren, in denen die EU sich stark in der Seenotrettung engagierte, kamen nicht mehr Menschen in Europa an, als in einem Jahr, in dem kaum Seenotrettung stattfand. „Trotz weniger Seenotrettung erreichten nicht weniger Menschen die EU“, sagt Elias Steinhilper, einer der beiden Verfasser der Studie, der mittlerweile am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung tätig ist.
2015 kamen 4 von 1000 Menschen, die die Odyssee über das Mittelmeer wagten, ums Leben. Inzwischen sind es 25 von 1000.
Was bedeutet eigentlich Seenotrettung und wer ist dafür zuständig?
Warum sind im Mittelmeer privat-gemeinnützige Schiffe von NGOs unterwegs?
„Seenot bedeutet, es besteht die begründete Annahme, dass ein Schiff oder darauf befindliche Personen durch eine ernste und unmittelbare Gefahr bedroht sind und ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können. Hierzu gehören etwa die Manövrierunfähigkeit eines Schiffes, ein Mangel an Bordrettungsmitteln (Rettungswesten), ein Mangel an Wasser oder Nahrung an Bord, mangelnde medizinische Versorgung, (…) oder eine die Sicherheit des Schiffes oder die Gesundheit der Passagiere gefährdende Überbelegung. Irrelevant ist, ob die Notlage (…) von den zu rettenden Personen selbst und/oder anderen schuldhaft herbeigeführt wurde. Die Pflicht zur Seenotrettung knüpft als unbedingte Pflicht allein an das Schutzbedürfnis der in Seenot geratenen Menschen an.“
(Deutsches Institut für Menschenrechte, 2017, S. 8)
Seenotrettung ist Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts und ausdrücklich im internationalen Seerecht geregelt. Jede*r Kapitän*in ist dazu verpflichtet, Personen in Seenot so schnell wie möglich zur Hilfe zu eilen; das gilt für die staatliche, wirtschaftliche 1 und private Schifffahrt. Rettungseinsätze im Mittelmeer werden in der Praxis von ganz unterschiedlichen Schiffen durchgeführt: Dazu zählen Handelsschiffe, Fischerboote, staatliche Schiffe der Küstenwache oder internationalen Operationen der EU Mission EUNAVFOR MED und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zuletzt entfielen ca. 40% der Rettungen auf die Schiffe von NGOs, deren Anteil aufgrund des Rückzugs anderer Schiffe aus Rettungen in den Notgebieten vor Libyen angestiegen ist.
Infolgedessen begannen bzw. verstärkten die im Mittelmeer seit etwa 2015 operierenden Schiffe von privat-gemeinnützigen NGOs ihr Engagement zur Rettung von Menschen in Seenot. Die Schiffe landeten im Zuge von Rettungseinsätzen gemäß Seerechtsübereinkommen(SRÜ) bislang im nächstgelegenen Hafen an, i.d.R. in Italien oder Malta.
Nach der Sperrung italienischer und maltesischer Häfen für Schiffe der NGOs durch Regierungen beider Länder im Juni 2018 wurden kurz darauf auch Schiffe der EU-Operation „Sophia“ abgewiesen. Sogar einem Schiff der italienischen Küstenwacht wurde es verwehrt, gerettete Menschen von Bord gehen zu lassen (der Fall „Diciotti“). In spanischen Häfen wird 5 es Schiffen mit Geretteten in Einzelfällen noch ermöglicht, anzulegen.
Das bedeutet:
Schiffe der zivilen Rettungsorganisationen werden zunehmend daran gehindert und kriminalisiert. Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) spielen NGOs nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Rettung von Menschen in Seenot.
Warum überlässt man die Seenotrettung nicht der libyschen Küstenwache, die dafür doch extra Geld und Ausrüstung von der EU erhält?
Meere sind weltweit in sogenannte Search-And-Rescue-Zonen aufgeteilt, kurz SAR. Die
Rettungseinsätze erfolgen i.d.R. auf der Basis eines Notrufs, der durch eine
SAR-Rettungsleitstelle an das nächstgelegene Schiff übermittelt wird. Das gilt auch für die zivilen Rettungsschiffe. Bislang entschied die SAR-Leitstelle in Rom, welches Schiff wo im Mittelmeer rettet und bezog dabei auch die NGO-Schiffe mit ein.
Die EU und insbesondere Italien will auf dem Mittelmeer möglichst nicht mehr selber retten. Deshalb rüsten Italien und die EU Libyens Küstenwache seit 2016 auf. Seit Juni 2018 hat Libyen eine eigene SAR-Zone entlang der libyschen Mittelmeerküste und mitgeteilt, alle Auflagen für die Übernahme der Seenotrettungszone (SAR) zu erfüllen. Italien hat der libyschen Küstenwache zwölf zusätzliche Schiffe zur Verfügung gestellt. Die EU unterstützt mit Know-How und Geld. Die libysche Regierung behauptet indessen, dass die EU-Gelder nicht wie zugesagt ausgezahlt würden. Seenotrettungsorganisationen und ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 2 −3000÷053÷17) weisen kritisch darauf hin, dass die eingerichtete libysche Seenotrettungsleitstelle vorerst nicht in der Lage sei, Rettungsmissionen ordnungsgemäß zu koordinieren. Es ist nicht auszuschließen, dass im Rahmen der Aufrüstung für den libyschen Küsten- und Grenzschutz sehr viel Geld an libysche Milizen, die Handelsstraßen, Grenzstationen, Knotenpunkte und Haftanstalten kontrollieren, geht. Die EU verfügt bislang über keine wirksamen Kontroll- und Sanktionsmittel.
Staatliche Leitstellen Seenotrettung haben in des SAR-Zonen in erster Linie eine Koordinationsaufgabe im Rahmen des Seerechtsübereinkommens und anderer Regelungen, aber keine Alleinzuständigkeit für die Rettung. Vor allem dürfen sie keine anderen (privaten) Schiffe, die an Ort und Stelle zur Rettung bereit und in der Lage sind, davon abhalten, Menschen aus Seenot zu retten. Genau das hat die libysche Küstenwache aber getan und verstößt damit gegen geltendes Seerecht.
Das bedeutet:
Die Gesamtsituation ist zurzeit sehr undurchsichtig und von einer etablierten Struktur zur Seenotrettung im südlichen Mittelmeer kann keine Rede sein. Unabhängig von einer möglichen Rolle der libyschen Seenotrettung gilt der Grundsatz, dass gemäß Seerechtsübereinkommen (SRÜ) alle EU-Mitgliedstaaten und Vertragsstaaten die seerechtlich verankerte Pflicht zur Seenotrettung haben. Sie entfiele auch dann nicht, wenn Libyen diese Aufgabe ordnungsgemäß und rechtskonform wahrnehmen würde.
Kooperieren die zivilen Seenotretter (zumindest verdeckt und indirekt) mit den Schleppern, indem sie die Bergung (seeuntüchtiger) Boote kurz hinter der Küste “übernehmen”?
Als zentrale Quelle für die Behauptung einer direkten Kooperation zwischen Schleppern und NGOs wird in Medien immer wieder auf eine Veröffentlichung (Risk Analysis for 2017) von Frontex verwiesen. In der Studie wird zwar eine kritische Bewertung der Seenotrettung allgemein vorgenommen, bei der das Gesamtsystem der Seenotrettung, also alle Akteure in ihrer Funktion für perfide und kriminelle Schlepperstrategien problematisiert werden. Aber es gibt dort keine Hinweise auf illegale Kooperationen von NGOs mit Schleppern. Ebenso wenig gibt es für die seitens der italienischen Anklage erhobenen Vorwürfe und Verdachtsindizien gegen Mitglieder der IUVENTA Crew Belege.
Den Schleppern geht es nicht um die Gewährleistung einer sicheren Überfahrt, sondern in erster Linie darum, den maximalen Profit aus der Not der Flüchtenden zu schlagen. Sie haben insofern überhaupt kein begründetes Interesse, sich mit zivilen Rettungsmissionen zu “verständigen”, zumal sie damit Gefahr laufen, entdeckt und verraten zu werden. Richtig ist indessen, dass Menschen unwissend mit oftmals untüchtigen und maroden Booten, welche die Schlepper einsetzen, auf das Meer geschickt werden und bereits kurz nach dem Ablegen von der libyschen Küste in Seenot geraten. Häufig werden die Boote überfüllt besetzt und mit zu wenig Treibstoff und Trinkwasser ausgesetzt. Eine Überfahrt wird damit von vornherein sehr riskant und der Tod vieler Passagiere wird von den Schleppern billigend in Kauf genommen.
Die Ergebnisse einer Studie des Goldsmith College der University of London sprechen dafür, dass der quantitative Anstieg von Überfahrten unabhängig von der Präsenz der Rettungsschiffe erfolgte. Die Schlepper planen ihr skrupelloses Handeln und die Auswahl der Boote nicht primär nach der vorhandenen Rettungskapazität (egal ob staatlich oder zivil), sondern danach, wie viele Menschen nach monatelanger Odyssee bereit sind, für die Überfahrt ihr Leben zu riskieren und den Preis zu den diktierten Bedingungen zu zahlen.
Das bedeutet:
Für die häufig gestreute Behauptung, es gäbe Kooperationen ziviler Seenotrettungsschiffe mit Schleppern, gibt es keinerlei Belege. Die Schlepper folgen nicht den Rettungsschiffen der NGOs oder umgekehrt.
Sollte man nicht besser Fluchtursachen bekämpfen?
Wir sehen in der Migration nach Europa grundsätzlich kein Problem. Allerdings ist es natürlich auch wichtig, die Lebensumstände in den Herkunftsländern zu verbessern. Vor allem, weil Deutschland und ganz Europa historisch einen großen Anteil an der Entstehung von Armut, Unsicherheit und Instabilität in diesen Ländern haben (Stichwort Kolonialismus und Imperialismus), ist es sehr wichtig, weiterhin auf globale Gerechtigkeit hinzuarbeiten.
Der Einsatz für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunfts- und Transitländern und Seenotrettung im Mittelmeer schließen sich aber nicht gegenseitig aus, es sollte also keine Entweder-Oder-Frage sein. Vor allem, da eine solche Verbesserung ein sehr langwieriger Prozess ist. Die Maßnahmen, die aktuell im Namen von Fluchtursachenbekämpfung von deutscher und europäischer Seite initiiert werden, sind leider oft nicht nachhaltig oder sogar kontraproduktiv (Zusammenarbeit mit Diktaturen etc.).
Aufnahme von Geflüchteten
Aber wir können doch nicht alle aufnehmen! / Wie viele können wir in Deutschland aufnehmen?
Zunächst einmal ist hier festzuhalten, dass jeder Mensch, der sich in Seenot befindet, gerettet werden muss, unabhängig von Aufnahmekapazitäten oder –willen.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt und schon immer von Migration geprägt. Dass sich bereits 90 Städte und Kommunen sowie unzählige Menschen auf Demonstrationen der Seebrücke für eine weitere Aufnahme Geflüchteter ausgesprochen haben, beweist ebenfalls, dass Deutschland noch weit mehr tun kann. Wir sind davon überzeugt, dass Menschenrechte keine Obergrenzen kennen und halten diese Diskussionen daher für irreführend.
Die kommen doch alle nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland!
Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (derzeit 354€ für Alleinstehende, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung leben) sind wohl kaum ein Anreiz für eine derart gefährliche Flucht durch Sahara und Mittelmeer. Niemand verlässt aus so niedrigen Gründen seine Heimat und nimmt dafür solche Gefahren in Kauf.
Es handelt sich hier um eigene europäische Selbstüberschätzung, bei gleichzeitiger Geringschätzung der Flüchtenden.
Migrant*innen sind politischen wie ökonomischen Anreizen nicht willenlos ausgesetzt, sondern durchaus in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu fällen. D.h., auch ein funktionierender Sozialstaat oder gute Löhne führen nicht automatisch zu Migration (sonst wären wohl alle Deutschen längst in Skandinavien). Flüchtende ziehen bevorzugt in Länder/Regionen, in den sie Verwandte/Freund*innen haben (Kettenmigration) und natürlich auch dorthin, wo sie Arbeit finden.
Aber die können doch nicht alle nach Seligenstadt! / Sollen die dann alle nach Seligenstadt?
Wir fordern erst einmal „nur“ eine Erklärung Seligenstadts zum “Sicheren Hafen”, welches als Symbol zu verstehen ist. Wenn sich immer mehr Städte und Kommunen in Deutschland zum “Sicheren Hafen” erklären, muss und wird das Bundesinnenministerium irgendwann reagieren und dazu beitragen, die europäische Migrationspolitik zu ändern.
Seligenstadt hat sich in den vergangenen Jahren durch eine offene und solidarische Gesellschaft positiv hervorgetan. Zahlreiche Vereine, Initiativen und Gruppen unterstützen neu ankommende Menschen bei ihrer Eingliederung in die Stadt.
Dennoch gilt auch hier: Menschenrechte kennen keine Obergrenze
Aber die anderen Länder tun doch auch nichts! / Wieso gerade Deutschland?
Deutschland ist eines der reichsten und stabilsten Länder der Welt und verfügt gleichzeitig über eine stark
richtungsweisende Rolle innerhalb der EU. Außerdem ist es keinesfalls so, dass Deutschland bereits genug oder besonders viel Verantwortung in Bezug auf Flucht und Flüchtlinge trägt, v.a. im Verhältnis zum Wohlstand. Vielmehr wird ein Großteil der sich weltweit auf der Flucht befindlichen Menschen von weitaus ärmeren Ländern aufgenommen.
Laut Amnesty International (Bericht von Ende 2016) haben nur zehn vorwiegend arme Länder mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Unter diesen Ländern ist kein einziges EU-Mitglied und kein Staat aus der Gruppe der sieben führenden Industrieländer (G7).
Deutschland tut doch schon genug!
Ja, Deutschland hat bereits viel getan. Seit 2015 wurden tatsächlich viele Geflüchtete aufgenommen und Bund, Länder und Kommunen haben gemeinsam mit vielen Freiwilligen mit großem Einsatz an der Integration dieser Menschen gearbeitet.
Gleichzeitig aber verschärft Deutschland zunehmend das Migrations- und Aufenthaltsrecht: seit dem EU-Türkei-Deal, den Deutschland maßgeblich mit vorangebracht hat, werden Menschen, die in Griechenland ankommen, ohne Prüfung der Asylgründe zurückgeschoben. Seit Ende 2016 schiebt Deutschland wieder Menschen in das vom Krieg zerrüttete Afghanistan ab. Auch hält Deutschland weiterhin am Dublin-System fest, obwohl dieses nachweislich zu großen Überlastungen und katastrophalen Zuständen in Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen geführt hat. Und das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Deutschland sich in Bezug auf Asylpolitik in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat.
Selbst Rückführungen nach Libyen, in dem für Geflüchtete laut EU-Berichten „KZ-ähnliche Zustände“ herrschen, wo Menschen gefoltert, vergewaltigt und ermordet werden, werden von der Bundesregierung mitgetragen.
Zudem sollte man nicht vergessen, dass Deutschland und der Globale Norden allgemein beispielsweise durch Waffenexporte, unfaire Wirtschaftsbeziehungen, den Klimawandel und postkoloniale Strukturen maßgeblich zur Destabilisierung großer Teile der Welt beitragen.
Und wer soll das alles finanzieren? / Das können wir uns nicht leisten!
Wir zitieren ProAsyl: “Flüchtlinge zu schützen ist nach zwei Weltkriegen nicht nur kulturelles Selbstverständnis in Europa, sondern auch eine humanitäre und völkerrechtliche Verpflichtung. Und diese Verpflichtung kann keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegen. Für die Bundesrepublik sind das Asylgrundrecht und das Völkerrecht verbindlich – um dies umzusetzen, muss Geld bereitstehen.
Im Jahr 2016 wurden 21,7 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt im Zusammenhang mit der Zuwanderung von Flüchtlingen ausgegeben, fast ein Drittel davon für »Fluchtursachenbekämpfung«, darunter auch zweifelhafte Maßnahmen mit dem Ziel, Schutzsuchende fernzuhalten. Insgesamt wies der Bundeshaushalt 2016 laut Bundesfinanzministerium immer noch einen Überschuss von 6,2 Milliarden Euro auf. Durch Steuervermeidung gehen dem Staat übrigens schätzungsweise bis zu 100 Milliarden Euro jährlich verloren.
Insgesamt lässt sich festhalten: Je mehr investiert wird, je früher Flüchtlinge Zugang haben zu Deutschkursen, Ausbildung, Qualifizierung und Arbeit, desto schneller gewinnt die Gesellschaft auch wirtschaftlich. Abschreckungspolitik hingegen hemmt Potenziale: Arbeitsverbote, Unterbringung in abgelegenen Massenunterkünften, fehlender Deutschunterricht oder Essenspakete statt Bargeld erschweren jede Eigeninitiative und kosten uns mehr als sie einsparen.”
Wir haben doch sowieso schon keine Wohnungen in Seligenstadt. Wo sollen die denn alle hin?
Erstmal geht es um eine Bereitschaftserklärung seitens der Stadt, sodass gar nicht sicher ist, ob und wenn ja, wie viele, Menschen überhaupt hierherkommen werden.
Insgesamt kann man die Wohnungsknappheit nicht den Geflüchteten oder Migrant*innen ankreiden: Wohnungsmangel gab es in Seligenstadt auch schon vor 2015. Er ist ein Resultat schlechter Stadtplanung: jahrelang wurde hier, genauso wie in vielen anderen Städten Deutschlands, am tatsächlichen Bedarf, v.a. in Bezug auf sozialen Wohnungsbau, vorbei investiert.
Die Aufnahme von Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Perspektivlosigkeit geflohen sind, nun mit Verweis auf den Wohnungsmangel abzulehnen, ist daher zynisch. Hier gibt es schlicht mehrere Baustellen gleichzeitig: Wir brauchen eine sinnvolle Stadtplanung, mehr sozialen Wohnungsbau und eine Erklärung Seligenstadts zum “Sicheren Hafen”.
Die Flüchtlinge kosten doch Seligenstadt Unmengen an Geld!
Nein. Denn sollten die Städte im Bündnis “Sichere Häfen” mehr Flüchtlinge aufnehmen, kämen nur geringe Kosten auf sie zu. Das Bundesinnenministerium hat auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein mitgeteilt, es werde wie bei allen anderen Asylbewerberverfahren vorgehen – und damit einen Großteil der Kosten übernehmen.
Die sind doch alle kriminell
Es gibt keine Hinweise darauf, dass Geflüchtete häufiger Straftaten begehen als der Rest der Bevölkerung. Laut Polizeilicher Kriminalitätsstatistik ist die Zahl der Strafanzeigen im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 0,1% gestiegen und im Jahr 2016 um 0,7% gesunken. Kriminologische Sachverständige erklären zudem, dass Kriminalität nicht mit einer bestimmten Staatsangehörigkeit zusammenhängt, sondern in der Regel mit konkreten Lebenslagen. Ein Leben in Massenunterkünften, Perspektivlosigkeit, wenig Beschäftigung und Diskriminierungserfahrungen erhöhen das Risiko, in eine Lebenssituation zu geraten, die Straffälligkeit begünstigt. Das bedeutet andersherum: Gesellschaftliche Integration und eine Lebensperspektive sind ein Schlüssel zur Vermeidung von Straffälligkeit – bei Menschen mit und ohne deutschen Pass.
Letztendlich sind »Ausländer« oder »Flüchtlinge« so unterschiedlich wie andere Menschen eben auch – weder sind alle nett und harmlos, noch sind alle gemein und gefährlich. Der weit überwiegende Teil der Zugezogenen verhält sich rechtskonform.
Sicherer Hafen Seligenstadt
Was ist mit Sicherer Hafen gemeint?
Ein sicherer Hafen im klassischen Sinne ist ein Hafen, in dem Schiffe einlaufen können und in dem die Menschen zunächst einmal in Sicherheit sind (in Libyen ist dementsprechend z.B. kein sicherer Hafen).
Aber auch Städte, Kommunen und Staaten ohne eigenen Seehafen können sich zum Sicheren Hafen im Sinne der Seebrücke erklären. Das bedeutet, dass sie sich bereit erklären, über die vom Staat vorgegebenen Quoten (Königsteiner Schlüssel) hinausgehend aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen.
Ein Ziel der Seebrücke ist es, möglichst viele dieser Sicheren Häfen zu schaffen und damit ein Zeichen gegen die restriktive Aufnahmepolitik des Bundesinnenministeriums zu setzen.
Bisher haben sich in Deutschland 92 Städte und Kommunen zum Sicheren Hafen erklärt (Stand: 18.09.2019).
Was kann man gegen das Sterben im Mittelmeer tun? Bringt so eine Erklärung zum Sicheren Hafen überhaupt etwas?
Die beste Lösung für das Sterben im Mittelmeer sind, ganz offensichtlich, sichere Flucht- und Migrationswege. Auch deshalb fordern wir von der Seebrücke eine Abkehr der europäischen und deutschen Migrationspolitik weg von Abschottung hin zu geregelter und sicherer Einwanderung.
Mit der Erklärung möglichst vieler Städte und Kommunen zu Sicheren Häfen wollen wir Zeichen setzen, die insgesamt dazu führen sollen, dass die EU und die deutsche Regierung die Gesetze entsprechend ändern.
Alle Angaben ohne Gewähr auf Richtigkeit und Vollständigkeit.