Fra­gen und Antworten

Hier haben wir eini­ge Gesichts­punk­te bzw. Fra­gen und Ant­wor­ten für Sie zusam­men­ge­stellt, die wir in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den auch aktua­li­sie­ren. Falls Sie wei­te­re Fra­gen haben, dann kön­nen Sie uns über das Kon­takt­for­mu­lar anschrei­ben. Oder besu­chen Sie uns doch auf einer unse­rer wöchent­lich statt­fin­den­den Mahn­wa­chen und spre­chen direkt mit uns. 

Inhalte 

See­brü­cke und See­not­ret­tung allgemein

Was ist die See­brü­cke und was for­dert ihr?

Die SEE­BRÜ­CKE ist eine inter­na­tio­na­le Bewe­gung, getra­gen von ver­schie­de­nen Bünd­nis­sen und Akteur*innen der Zivil­ge­sell­schaft. Wir soli­da­ri­sie­ren uns mit allen Men­schen auf der Flucht und erwar­ten von der deut­schen und euro­päi­schen Poli­tik sofort siche­re Flucht­we­ge, eine Ent­kri­mi­na­li­sie­rung der See­not­ret­tung und eine men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me der Men­schen, die flie­hen muss­ten oder noch auf der Flucht sind – kurz: Weg von Abschie­bung und Abschot­tung und hin zu Bewe­gungs­frei­heit für alle Men­schen. Mehr Infos: www​.see​brue​cke​.org

Wer ist die See­brü­cke Seligenstadt?

Die See­brü­cke Seli­gen­stadt ist aus den Teilnehmer/​innen der “Mahn­wa­che See­brü­cke” ent­stan­den, wel­che sich seit August 2018 jeden Mitt­woch auf dem Markt­platz in Seli­gen­stadt trifft. Wir sind Men­schen ver­schie­de­ner Alters­grup­pen, Her­kunft und Hin­ter­grün­de. Gemein­sam set­zen wir uns mit öffent­lich­keits­wirk­sa­men Aktio­nen, Ver­an­stal­tun­gen und in Gesprä­chen gegen das Ster­ben im Mit­tel­meer ein. Außer­dem ver­fol­gen wir das Ziel, Seli­gen­stadt zum Siche­ren Hafen zu machen.

Was sind die Zie­le der Seebrücke?

Die See­brü­cke for­dert von der deut­schen und euro­päi­schen Politik:

  • Siche­re Fluchtwege
  • Ent­kri­mi­na­li­sie­rung der Seenotrettung
  • Eine Men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me von Men­schen, die flie­hen muss­ten oder auf der Flucht sind

Was sind die gesetz­li­chen Grund­la­gen für die Seenotrettung

„Jeder Staat ver­pflich­tet den Kapi­tän eines sei­ne Flag­ge füh­ren­den Schif­fes, soweit der Kapi­tän ohne erns­te Gefähr­dung des Schiffs, der Besat­zung oder der Fahr­gäs­te dazu imstan­de ist, jede Per­son, die auf See in Lebens­ge­fahr ange­trof­fen wird, Hil­fe zu leis­ten“
(See­rechts­über­ein­kom­men der Ver­ein­ten Natio­nen vom 10.12.1982).
(Art. 98 Abs. 1 See­rechts­über­ein­kom­men der Ver­ein­ten Natio­nen)

Das Non-Refou­le­ment-Prin­zip ver­bie­tet eine Aus­lie­fe­rung, Aus­wei­sung oder Rück­schie­bung einer Per­son in ein Land, in dem für die betref­fen­de Per­son ein ernst­haf­tes Risi­ko von unmensch­li­cher Behand­lung, Fol­ter oder Ver­fol­gung besteht.
(Art. 3 EMRKArt. 19 GRCh Abs. 2 Euro­päi­sche Grund­rech­te­char­ta, Art. 33 GFK)

Unzu­läs­sig­keit von Kol­lek­tiv­aus­wei­sun­gen aus­län­di­scher Per­so­nen
(Art. 4 des­vier­ten Zusatz­pro­to­kolls der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on)

Wel­che Orga­ni­sa­tio­nen enga­gie­ren sich in der Seenotrettung?

Seit Herbst 2017 ist von Sea-Watch das Ret­tungs­schiff Sea-Watch 3 im Ein­satz. Sie ist 55 Meter lang. Ihr Ein­satz­be­reich liegt in der Search-and-Res­cue-Zone (SAR­Zo­ne) vor der liby­schen Küste.

Von Sea-Watch ist außer­dem das Flug­zeug Moon­bird zur Ret­tung Schiff­brü­chi­ger unter­wegs. Sie wird zusam­men mit der Schwei­ze­ri­schen Huma­ni­ta­ri­an Pio­lots Initia­ti­ve (HPI) betrie­ben. Die Moon­bird ist eine ein­mo­to­ri­ge Cir­rus SR22. Ihre Auf­ga­be ist es die Ein­sät­ze zu koor­di­nie­ren, bei der Suche nach Boo­ten zu hel­fen und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu dokumentieren.

Mis­si­on Life­line erlang­te mit ihrem Schiff Life­line (ehe­mals Sea-Watch 2 von Sea­Watch) und deren Kapi­tän Claus-Peter Reisch inter­na­tio­na­le Bekannt­heit. Der Kapi­tän muss sich seit 2018 für die aus See­not geret­te­ten Men­schen im Mit­tel­meer vor Gericht ver­ant­wor­ten. Gleich­zei­tig wur­de das Schiff über Mona­te in Mal­ta festgesetzt.

Mit dem Schiff Mare Liber­um (ehe­mals Sea-Watch 1 von Sea-Watch) ist die Ber­li­ner Orga­ni­sa­ti­on Mare Liber­um in der Ägä­is unter­wegs. Das Schiff wur­de 1917 gebaut und hat eine Län­ge von 21 Metern.

Die deut­sche Orga­ni­sa­ti­on aus Ham­burg SOS Medi­ter­ra­nee arbei­tet mit Ärz­te ohne Gren­zen zusam­men, wel­che sich mit an Board befin­den. Das Schiff Aqua­ri­us, wel­ches ange­mie­tet wur­de, ret­tet vor­wie­gend Leben vor der liby­schen Küs­te. Die täg­li­chen Kos­ten für den Ein­satz des Schif­fes belau­fen sich auf 11.000 Euro.

Vom ita­lie­ni­schen Pro­jekt Medi­ter­ra­nea, einer Platt­form ver­schie­de­ner ita­lie­ni­scher Initia­ti­ven, ist die das Schiff Mare Jonio unterwegs.

Von dem Netz­werk jun­ger Europäer*innen JUGEND RET­TET ist seit dem 24. Juli 2016 die IUVEN­TA im Ein­satz. Das Schiff ist 33 Meter lang und bie­tet für 13 Besat­zungs­mit­glie­dern sowie 220 geflüch­te­ten Men­schen Platz. Das Boot patrouil­liert zwi­schen Liby­en und Italien.

Sea-Eye e.V., eine Grün­dung des Regens­bur­ger Unter­neh­mers Micha­el Busch­heu­er, ist mit dem 70 Jah­re alten Schiff Alan Kur­di vor der Liby­schen Küs­te unterwegs.

Eine klei­ne Orga­ni­sa­ti­on ohne eige­nes Schiff ist Resq­ship aus Ham­burg. Sie bie­ten der­zeit auf der grie­chi­schen Insel Les­bos medi­zi­ni­sche Hil­fe für Geflüchtete.

Eine unvoll­stän­di­ge Auf­lis­tung (Stand: 01.06.2019)

Wo kann ich mich über die ein­zel­nen Orga­ni­sa­tio­nen informieren?

Wohin müs­sen Geret­te­te gebracht wer­den? War­um nicht nach Liby­en oder Tunesien?

Aus See­not geret­te­te Men­schen sol­len gemäß SOLAS an einen “siche­ren Ort” gebracht wer­den. Das muss aber nicht der nächs­te Hafen, son­dern kön­ne bei­spiels­wei­se auch ein ande­res Schiff sein, wie Nele Matz-Lück, Pro­fes­so­rin für Öffent­li­ches Recht mit dem Schwer­punkt See­recht an der Uni­ver­si­tät Kiel, dem ARD-fak­ten­fin­der sag­te. Genau­er defi­niert ist der “siche­re Ort” in den “Richt­li­ni­en für die Behand­lung von auf See geret­te­ten Per­so­nen”:
“Es ist auch ein Ort, an dem das Leben der Über­le­ben­den nicht mehr wei­ter in Gefahr ist und an dem ihre mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis­se (wie zum Bei­spiel Nah­rung, Unter­kunft und medi­zi­ni­sche Bedürf­nis­se) gedeckt wer­den kön­nen. Es ist wei­ter ein Ort, von dem aus Vor­keh­run­gen für den Trans­port der Über­le­ben­den zu ihrem nächs­ten oder end­gül­ti­gen Bestim­mungs­ort getrof­fen wer­den können.”
Liby­en gilt aller­dings nicht als “siche­rer Ort”, eine Rück­füh­rung von Flücht­lin­gen nach Liby­en ist sogar rechts­wid­rig. Den nächst­ge­le­ge­nen Hafen Lam­pe­du­sa anzu­steu­ern, hält Schatz des­halb für nach­voll­zieh­bar. Das Pro­blem ist wei­ter­hin, dass die liby­schen Häfen nicht sicher sind: Das Land befin­det sich mit­ten in einem Bür­ger­krieg; loka­le Mili­zen und Schlep­per­ban­den unter­hal­ten in Küs­ten­nä­he Fol­ter­ge­fäng­nis­se, in denen die Migran­ten unmensch­li­chen Tor­tu­ren aus­ge­setzt sind. Immer wie­der for­der­ten Poli­ti­ker und Teil­neh­mer von Dis­kus­sio­nen in sozia­len Netz­wer­ken, die Geret­te­ten nach Tune­si­en zu brin­gen. Jedoch gibt es in Tune­si­en kein natio­na­les Asyl­ver­fah­ren. Tune­si­en hat sich außer­dem in der Ver­gan­gen­heit wenig koope­ra­tiv gezeigt und “wie­der­holt über lan­ge Zeit gewei­gert, Geret­te­te – zum Bei­spiel von Fracht­schif­fen – anzu­neh­men” und ver­fü­ge über kei­ne Ret­tungs­leit­stel­le, erklär­te der “Sea-Watch”-Sprecher. “Es geht nicht nur dar­um, Ret­tungs­ein­sät­ze auf dem nächs­ten Stück Land abzu­ge­ben, son­dern die Über­le­ben­den tat­säch­lich in einen siche­ren Hafen zu brin­gen.” Eben­so unter­sagt die Regie­rung in Tunis das Anlan­den von Ret­tungs­schif­fen. Der Maghreb-Staat will unter allen Umstän­den ver­mei­den, ein Tran­sit­land für Flücht­lin­ge zu wer­den und hat es des­we­gen auch abge­lehnt, auf sei­nem Ter­ri­to­ri­um Flücht­lings­zen­tren des UNHCR errich­ten zu las­sen, in denen die Migran­ten außer­halb der EU-Gren­zen ihre Asyl­an­trä­ge für Euro­pa zu stellen. 

Was bedeu­tet Kri­mi­na­li­sie­rung zivi­ler Seenotrettung?

Nach­dem die staat­li­che See­not­ret­tungs­mis­si­on Mare Nos­trum ein­ge­stellt wur­de, haben zuneh­mend Zivil­per­so­nen die eigent­lich staat­li­che Auf­ga­be, Men­schen aus See­not im Mit­tel­meer zu ret­ten, übernommen.

So haben sich ver­schie­de­ne zivi­le See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, wie z.B. Sea Watch, Jugend Ret­tet oder Pro Acti­va Open Arms, gegrün­det. An den Crews der See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen soll nun ein Exem­pel sta­tu­iert werden.

Die Crews bestehen zum größ­ten Teil aus Ehren­amt­li­chen, die ihren Urlaub oder ihre Frei­zeit auf dem Mit­tel­meer ver­brin­gen, um Men­schen vor dem Ertrin­ken zu bewah­ren. Dafür wer­den sie nun vor Gericht gestellt, teil­wei­se wegen “Bei­hil­fe zur ille­ga­len Migra­ti­on”, aber auch wegen angeb­lich falsch aus­ge­füll­ter For­ma­lia bei der Anmel­dung der Rettungsschiffe.

Die Auf­ga­be, Men­schen aus See­not zu ret­ten, liegt eigent­lich in der Ver­ant­wor­tung der Euro­päi­schen Uni­on. Die­se ver­tei­digt aber mit zuneh­men­der Här­te ihre Außen­gren­zen und die zivi­len See­not­ret­ter sind da läs­ti­ge Beob­ach­ter und Augenzeugen.

Wir sagen hier ganz klar: See­not­ret­tung ist kein Verbrechen.

Die Euro­päi­sche Uni­on, Trä­ge­rin des Frie­dens­no­bel­prei­ses, stellt sich gegen die­se auch gesetz­lich fest­ge­schrie­be­ne Grund­re­gel und trägt damit direkt zu mehr Toten an den Außen­gren­zen bei.

Wir kön­nen uns nicht auf Men­schen­rech­te, Auf­klä­rung und Huma­nis­mus beru­fen und gleich­zei­tig die Ret­tung Ertrin­ken­der kri­mi­na­li­sie­ren. Wer dabei ist zu ertrin­ken, dem muss gehol­fen wer­den, egal um wen es da geht.

Seenotretter*innen sind doch nur Schlepper/​Men­schen­händ­ler. / Ist See­not­ret­tung ein soge­nann­ter PullFaktor?

Die simp­le Ant­wort: Nein.

Nie­mand lässt leicht­fer­tig sein gesam­tes Leben hin­ter sich und nie­mand steigt frei­wil­lig in ein kaum see­taug­li­ches Boot, um über das Mit­tel­meer zu fah­ren. Men­schen flie­hen nicht grund­los, son­dern weil sie kei­ne ande­re Wahl haben. Der Som­mer 2018 war der töd­lichs­te seit Beginn der Zäh­lung von Toten im Mit­tel­meer, obwohl kei­ne zivi­len Ret­tungs­mis­sio­nen aus­fah­ren durf­ten. Das zeigt, dass Men­schen auch dann flie­hen, wenn es kei­ne See­not­ret­tungs­schif­fe mehr gibt. Man kann hier ganz klar sagen: mehr Ret­tungs­schif­fe bedeu­ten nicht mehr Flücht­lings­boo­te, aber weni­ger Schif­fe bedeu­ten mehr Tote. Eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Oxford belegt zudem auch wis­sen­schaft­lich, dass es kei­nen signi­fi­kan­ten Zusam­men­hang zwi­schen der Zahl der pri­va­ten Ret­tungs­schif­fe und der Zahl der Über­fahr­ten gibt.

Matteo Vil­la, Migra­ti­ons­wis­sen­schaft­ler am „Ita­li­an Insti­tu­te for Inter­na­tio­nal Poli­ti­cal Stu­dies“, hat erfasst, wie vie­le Men­schen von der liby­schen Küs­te able­gen und an wie vie­len die­ser Tage Boo­te von pri­va­ten See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen in der Nähe sind. Die Daten dazu sam­melt er unter ande­rem von den Ver­ein­ten Natio­nen, aus der Pres­se und dem ita­lie­ni­schen Innen­mi­nis­te­ri­um. Sein Ergeb­nis für die Zeit von Anfang Janu­ar bis Ende Juni 2019: An den 31 Tagen mit NGOs in der Nähe schick­ten Schlep­per im Schnitt 32,8 Men­schen aufs Meer. An den 150 Tagen, an denen kei­ne NGOs in der Nähe der liby­schen Küs­te fuh­ren, leg­ten im Schnitt 34,6 Men­schen ab.

In einer viel beach­te­ten ande­ren Stu­die ver­gli­chen Sozi­al­wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Oxford und der Scuo­la Nor­ma­le Supe­rio­re in Flo­renz drei ver­schie­de­ne Jah­re mit­ein­an­der. Ihre Aus­wer­tung zeigt: In Jah­ren, in denen die EU sich stark in der See­not­ret­tung enga­gier­te, kamen nicht mehr Men­schen in Euro­pa an, als in einem Jahr, in dem kaum See­not­ret­tung statt­fand. „Trotz weni­ger See­not­ret­tung erreich­ten nicht weni­ger Men­schen die EU“, sagt Eli­as Stein­hil­per, einer der bei­den Ver­fas­ser der Stu­die, der mitt­ler­wei­le am Deut­schen Zen­trum für Inte­gra­ti­ons- und Migra­ti­ons­for­schung tätig ist.

2015 kamen 4 von 1000 Men­schen, die die Odys­see über das Mit­tel­meer wag­ten, ums Leben. Inzwi­schen sind es 25 von 1000.

Was bedeu­tet eigent­lich See­not­ret­tung und wer ist dafür zuständig?
War­um sind im Mit­tel­meer pri­vat-gemein­nüt­zi­ge Schif­fe von NGOs unterwegs?

„See­not bedeu­tet, es besteht die begrün­de­te Annah­me, dass ein Schiff oder dar­auf befind­li­che Per­so­nen durch eine erns­te und unmit­tel­ba­re Gefahr bedroht sind und ohne Hil­fe von außen nicht in Sicher­heit gelan­gen kön­nen. Hier­zu gehö­ren etwa die Manö­vrier­un­fä­hig­keit eines Schif­fes, ein Man­gel an Bord­ret­tungs­mit­teln (Ret­tungs­wes­ten), ein Man­gel an Was­ser oder Nah­rung an Bord, man­geln­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, (…) oder eine die Sicher­heit des Schif­fes oder die Gesund­heit der Pas­sa­gie­re gefähr­den­de Über­be­le­gung. Irrele­vant ist, ob die Not­la­ge (…) von den zu ret­ten­den Per­so­nen selbst und/​oder ande­ren schuld­haft her­bei­ge­führt wur­de. Die Pflicht zur See­not­ret­tung knüpft als unbe­ding­te Pflicht allein an das Schutz­be­dürf­nis der in See­not gera­te­nen Men­schen an.“

(Deut­sches Insti­tut für Men­schen­rech­te, 2017, S. 8)

See­not­ret­tung ist Bestand­teil des Völ­ker­ge­wohn­heits­rechts und aus­drück­lich im inter­na­tio­na­len See­recht gere­gelt. Jede*r Kapitän*in ist dazu ver­pflich­tet, Per­so­nen in See­not so schnell wie mög­lich zur Hil­fe zu eilen; das gilt für die staat­li­che, wirt­schaft­li­che 1 und pri­va­te Schiff­fahrt. Ret­tungs­ein­sät­ze im Mit­tel­meer wer­den in der Pra­xis von ganz unter­schied­li­chen Schif­fen durch­ge­führt: Dazu zäh­len Han­dels­schif­fe, Fischer­boo­te, staat­li­che Schif­fe der Küs­ten­wa­che oder inter­na­tio­na­len Ope­ra­tio­nen der EU Mis­si­on EUNAV­FOR MED und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs). Zuletzt ent­fie­len ca. 40% der Ret­tun­gen auf die Schif­fe von NGOs, deren Anteil auf­grund des Rück­zugs ande­rer Schif­fe aus Ret­tun­gen in den Not­ge­bie­ten vor Liby­en ange­stie­gen ist.
Infol­ge­des­sen began­nen bzw. ver­stärk­ten die im Mit­tel­meer seit etwa 2015 ope­rie­ren­den Schif­fe von pri­vat-gemein­nüt­zi­gen NGOs ihr Enga­ge­ment zur Ret­tung von Men­schen in See­not. Die Schif­fe lan­de­ten im Zuge von Ret­tungs­ein­sät­zen gemäß Seerechtsübereinkommen(SRÜ) bis­lang im nächst­ge­le­ge­nen Hafen an, i.d.R. in Ita­li­en oder Malta.

Nach der Sper­rung ita­lie­ni­scher und mal­te­si­scher Häfen für Schif­fe der NGOs durch Regie­run­gen bei­der Län­der im Juni 2018 wur­den kurz dar­auf auch Schif­fe der EU-Ope­ra­ti­on „Sophia“ abge­wie­sen. Sogar einem Schiff der ita­lie­ni­schen Küs­ten­wacht wur­de es ver­wehrt, geret­te­te Men­schen von Bord gehen zu las­sen (der Fall „Diciot­ti“). In spa­ni­schen Häfen wird 5 es Schif­fen mit Geret­te­ten in Ein­zel­fäl­len noch ermög­licht, anzulegen.

Das bedeu­tet:
Schif­fe der zivi­len Ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den zuneh­mend dar­an gehin­dert und kri­mi­na­li­siert. Laut Flücht­lings­hilfs­werk der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR) spie­len NGOs nach wie vor eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Ret­tung von Men­schen in Seenot. 

War­um über­lässt man die See­not­ret­tung nicht der liby­schen Küs­ten­wa­che, die dafür doch extra Geld und Aus­rüs­tung von der EU erhält?

Mee­re sind welt­weit in soge­nann­te Search-And-Res­cue-Zonen auf­ge­teilt, kurz SAR. Die
Ret­tungs­ein­sät­ze erfol­gen i.d.R. auf der Basis eines Not­rufs, der durch eine
SAR-Ret­tungs­leit­stel­le an das nächst­ge­le­ge­ne Schiff über­mit­telt wird. Das gilt auch für die zivi­len Ret­tungs­schif­fe. Bis­lang ent­schied die SAR-Leit­stel­le in Rom, wel­ches Schiff wo im Mit­tel­meer ret­tet und bezog dabei auch die NGO-Schif­fe mit ein.

Die EU und ins­be­son­de­re Ita­li­en will auf dem Mit­tel­meer mög­lichst nicht mehr sel­ber ret­ten. Des­halb rüs­ten Ita­li­en und die EU Liby­ens Küs­ten­wa­che seit 2016 auf. Seit Juni 2018 hat Liby­en eine eige­ne SAR-Zone ent­lang der liby­schen Mit­tel­meer­küs­te und mit­ge­teilt, alle Auf­la­gen für die Über­nah­me der See­not­ret­tungs­zo­ne (SAR) zu erfül­len. Ita­li­en hat der liby­schen Küs­ten­wa­che zwölf zusätz­li­che Schif­fe zur Ver­fü­gung gestellt. Die EU unter­stützt mit Know-How und Geld. Die liby­sche Regie­rung behaup­tet indes­sen, dass die EU-Gel­der nicht wie zuge­sagt aus­ge­zahlt wür­den. See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und ein Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Diens­tes des Deut­schen Bun­des­ta­ges (WD 2 −3000÷053÷17) wei­sen kri­tisch dar­auf hin, dass die ein­ge­rich­te­te liby­sche See­not­ret­tungs­leit­stel­le vor­erst nicht in der Lage sei, Ret­tungs­mis­sio­nen ord­nungs­ge­mäß zu koor­di­nie­ren. Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass im Rah­men der Auf­rüs­tung für den liby­schen Küs­ten- und Grenz­schutz sehr viel Geld an liby­sche Mili­zen, die Han­dels­stra­ßen, Grenz­sta­tio­nen, Kno­ten­punk­te und Haft­an­stal­ten kon­trol­lie­ren, geht. Die EU ver­fügt bis­lang über kei­ne wirk­sa­men Kon­troll- und Sanktionsmittel.

Staat­li­che Leit­stel­len See­not­ret­tung haben in des SAR-Zonen in ers­ter Linie eine Koor­di­na­ti­ons­auf­ga­be im Rah­men des See­rechts­über­ein­kom­mens und ande­rer Rege­lun­gen, aber kei­ne Allein­zu­stän­dig­keit für die Ret­tung. Vor allem dür­fen sie kei­ne ande­ren (pri­va­ten) Schif­fe, die an Ort und Stel­le zur Ret­tung bereit und in der Lage sind, davon abhal­ten, Men­schen aus See­not zu ret­ten. Genau das hat die liby­sche Küs­ten­wa­che aber getan und ver­stößt damit gegen gel­ten­des Seerecht.

Das bedeu­tet:
Die Gesamt­si­tua­ti­on ist zur­zeit sehr undurch­sich­tig und von einer eta­blier­ten Struk­tur zur See­not­ret­tung im süd­li­chen Mit­tel­meer kann kei­ne Rede sein. Unab­hän­gig von einer mög­li­chen Rol­le der liby­schen See­not­ret­tung gilt der Grund­satz, dass gemäß See­rechts­über­ein­kom­men (SRÜ) alle EU-Mit­glied­staa­ten und Ver­trags­staa­ten die see­recht­lich ver­an­ker­te Pflicht zur See­not­ret­tung haben. Sie ent­fie­le auch dann nicht, wenn Liby­en die­se Auf­ga­be ord­nungs­ge­mäß und rechts­kon­form wahr­neh­men würde.

Koope­rie­ren die zivi­len See­not­ret­ter (zumin­dest ver­deckt und indi­rekt) mit den Schlep­pern, indem sie die Ber­gung (see­un­tüch­ti­ger) Boo­te kurz hin­ter der Küs­te “über­neh­men”?

Als zen­tra­le Quel­le für die Behaup­tung einer direk­ten Koope­ra­ti­on zwi­schen Schlep­pern und NGOs wird in Medi­en immer wie­der auf eine Ver­öf­fent­li­chung (Risk Ana­ly­sis for 2017) von Fron­tex ver­wie­sen. In der Stu­die wird zwar eine kri­ti­sche Bewer­tung der See­not­ret­tung all­ge­mein vor­ge­nom­men, bei der das Gesamt­sys­tem der See­not­ret­tung, also alle Akteu­re in ihrer Funk­ti­on für per­fi­de und kri­mi­nel­le Schlep­per­stra­te­gien pro­ble­ma­ti­siert wer­den. Aber es gibt dort kei­ne Hin­wei­se auf ille­ga­le Koope­ra­tio­nen von NGOs mit Schlep­pern. Eben­so wenig gibt es für die sei­tens der ita­lie­ni­schen Ankla­ge erho­be­nen Vor­wür­fe und Ver­dachts­in­di­zi­en gegen Mit­glie­der der IUVEN­TA Crew Belege.

Den Schlep­pern geht es nicht um die Gewähr­leis­tung einer siche­ren Über­fahrt, son­dern in ers­ter Linie dar­um, den maxi­ma­len Pro­fit aus der Not der Flüch­ten­den zu schla­gen. Sie haben inso­fern über­haupt kein begrün­de­tes Inter­es­se, sich mit zivi­len Ret­tungs­mis­sio­nen zu “ver­stän­di­gen”, zumal sie damit Gefahr lau­fen, ent­deckt und ver­ra­ten zu wer­den. Rich­tig ist indes­sen, dass Men­schen unwis­send mit oft­mals untüch­ti­gen und maro­den Boo­ten, wel­che die Schlep­per ein­set­zen, auf das Meer geschickt wer­den und bereits kurz nach dem Able­gen von der liby­schen Küs­te in See­not gera­ten. Häu­fig wer­den die Boo­te über­füllt besetzt und mit zu wenig Treib­stoff und Trink­was­ser aus­ge­setzt. Eine Über­fahrt wird damit von vorn­her­ein sehr ris­kant und der Tod vie­ler Pas­sa­gie­re wird von den Schlep­pern bil­li­gend in Kauf genommen.

Die Ergeb­nis­se einer Stu­die des Golds­mith Col­lege der Uni­ver­si­ty of Lon­don spre­chen dafür, dass der quan­ti­ta­ti­ve Anstieg von Über­fahr­ten unab­hän­gig von der Prä­senz der Ret­tungs­schif­fe erfolg­te. Die Schlep­per pla­nen ihr skru­pel­lo­ses Han­deln und die Aus­wahl der Boo­te nicht pri­mär nach der vor­han­de­nen Ret­tungs­ka­pa­zi­tät (egal ob staat­lich oder zivil), son­dern danach, wie vie­le Men­schen nach mona­te­lan­ger Odys­see bereit sind, für die Über­fahrt ihr Leben zu ris­kie­ren und den Preis zu den dik­tier­ten Bedin­gun­gen zu zahlen.

Das bedeu­tet:
Für die häu­fig gestreu­te Behaup­tung, es gäbe Koope­ra­tio­nen zivi­ler See­not­ret­tungs­schif­fe mit Schlep­pern, gibt es kei­ner­lei Bele­ge. Die Schlep­per fol­gen nicht den Ret­tungs­schif­fen der NGOs oder umgekehrt.

Soll­te man nicht bes­ser Flucht­ur­sa­chen bekämpfen?

Wir sehen in der Migra­ti­on nach Euro­pa grund­sätz­lich kein Pro­blem. Aller­dings ist es natür­lich auch wich­tig, die Lebens­um­stän­de in den Her­kunfts­län­dern zu ver­bes­sern. Vor allem, weil Deutsch­land und ganz Euro­pa his­to­risch einen gro­ßen Anteil an der Ent­ste­hung von Armut, Unsi­cher­heit und Insta­bi­li­tät in die­sen Län­dern haben (Stich­wort Kolo­nia­lis­mus und Impe­ria­lis­mus), ist es sehr wich­tig, wei­ter­hin auf glo­ba­le Gerech­tig­keit hinzuarbeiten.

Der Ein­satz für eine Ver­bes­se­rung der Lebens­be­din­gun­gen in den Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern und See­not­ret­tung im Mit­tel­meer schlie­ßen sich aber nicht gegen­sei­tig aus, es soll­te also kei­ne Ent­we­der-Oder-Fra­ge sein. Vor allem, da eine sol­che Ver­bes­se­rung ein sehr lang­wie­ri­ger Pro­zess ist. Die Maß­nah­men, die aktu­ell im Namen von Flucht­ur­sa­chen­be­kämp­fung von deut­scher und euro­päi­scher Sei­te initi­iert wer­den, sind lei­der oft nicht nach­hal­tig oder sogar kon­tra­pro­duk­tiv (Zusam­men­ar­beit mit Dik­ta­tu­ren etc.).

Auf­nah­me von Geflüchteten

Aber wir kön­nen doch nicht alle auf­neh­men! / Wie vie­le kön­nen wir in Deutsch­land aufnehmen?

Zunächst ein­mal ist hier fest­zu­hal­ten, dass jeder Mensch, der sich in See­not befin­det, geret­tet wer­den muss, unab­hän­gig von Auf­nah­me­ka­pa­zi­tä­ten oder –wil­len.

Deutsch­land ist eines der reichs­ten Län­der der Welt und schon immer von Migra­ti­on geprägt. Dass sich bereits 90 Städ­te und Kom­mu­nen sowie unzäh­li­ge Men­schen auf Demons­tra­tio­nen der See­brü­cke für eine wei­te­re Auf­nah­me Geflüch­te­ter aus­ge­spro­chen haben, beweist eben­falls, dass Deutsch­land noch weit mehr tun kann. Wir sind davon über­zeugt, dass Men­schen­rech­te kei­ne Ober­gren­zen ken­nen und hal­ten die­se Dis­kus­sio­nen daher für irreführend.

Die kom­men doch alle nur wegen der Sozi­al­leis­tun­gen nach Deutschland!

Grund­leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (der­zeit 354€ für Allein­ste­hen­de, die nicht in einer Aufnahme­einrichtung leben) sind wohl kaum ein Anreiz für eine der­art gefähr­li­che Flucht durch Saha­ra und Mit­tel­meer. Nie­mand ver­lässt aus so nied­ri­gen Grün­den sei­ne Hei­mat und nimmt dafür sol­che Gefah­ren in Kauf.

Es han­delt sich hier um eige­ne euro­päi­sche Selbst­über­schät­zung, bei gleich­zei­ti­ger Gering­schät­zung der Flüchtenden.

Migrant*innen sind poli­ti­schen wie öko­no­mi­schen Anrei­zen nicht wil­len­los aus­ge­setzt, son­dern durch­aus in der Lage, eigen­stän­di­ge Ent­schei­dun­gen zu fäl­len. D.h., auch ein funk­tio­nie­ren­der Sozi­al­staat oder gute Löh­ne füh­ren nicht auto­ma­tisch zu Migra­ti­on (sonst wären wohl alle Deut­schen längst in Skan­di­na­vi­en). Flüch­ten­de zie­hen bevor­zugt in Länder/​Regionen, in den sie Verwandte/Freund*innen haben (Ket­ten­mi­gra­ti­on) und natür­lich auch dort­hin, wo sie Arbeit finden.

Aber die kön­nen doch nicht alle nach Seli­gen­stadt! / Sol­len die dann alle nach Seligenstadt?

Wir for­dern erst ein­mal „nur“ eine Erklä­rung Seli­gen­stadts zum “Siche­ren Hafen”, wel­ches als Sym­bol zu ver­ste­hen ist. Wenn sich immer mehr Städ­te und Kom­mu­nen in Deutsch­land zum “Siche­ren Hafen” erklä­ren, muss und wird das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um irgend­wann reagie­ren und dazu bei­tra­gen, die euro­päi­sche Migra­ti­ons­po­li­tik zu ändern.

Seli­gen­stadt hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren durch eine offe­ne und soli­da­ri­sche Gesell­schaft posi­tiv her­vor­ge­tan. Zahl­rei­che Ver­ei­ne, Initia­ti­ven und Grup­pen unter­stüt­zen neu ankom­men­de Men­schen bei ihrer Ein­glie­de­rung in die Stadt.

Den­noch gilt auch hier: Men­schen­rech­te ken­nen kei­ne Obergrenze

Aber die ande­ren Län­der tun doch auch nichts! / Wie­so gera­de Deutschland?

Deutsch­land ist eines der reichs­ten und sta­bils­ten Län­der der Welt und ver­fügt gleich­zei­tig über eine stark
rich­tungs­wei­sen­de Rol­le inner­halb der EU. Außer­dem ist es kei­nes­falls so, dass Deutsch­land bereits genug oder beson­ders viel Ver­ant­wor­tung in Bezug auf Flucht und Flücht­lin­ge trägt, v.a. im Ver­hält­nis zum Wohl­stand. Viel­mehr wird ein Groß­teil der sich welt­weit auf der Flucht befind­li­chen Men­schen von weit­aus ärme­ren Län­dern aufgenommen.

Laut Amnes­ty Inter­na­tio­nal (Bericht von Ende 2016) haben nur zehn vor­wie­gend arme Län­der mehr als die Hälf­te aller Flücht­lin­ge welt­weit auf­ge­nom­men. Unter die­sen Län­dern ist kein ein­zi­ges EU-Mit­glied und kein Staat aus der Grup­pe der sie­ben füh­ren­den Indus­trie­län­der (G7).

Deutsch­land tut doch schon genug!

Ja, Deutsch­land hat bereits viel getan. Seit 2015 wur­den tat­säch­lich vie­le Geflüch­te­te auf­ge­nom­men und Bund, Län­der und Kom­mu­nen haben gemein­sam mit vie­len Frei­wil­li­gen mit gro­ßem Ein­satz an der Inte­gra­ti­on die­ser Men­schen gearbeitet.

Gleich­zei­tig aber ver­schärft Deutsch­land zuneh­mend das Migra­ti­ons- und Auf­ent­halts­recht: seit dem EU-Tür­kei-Deal, den Deutsch­land maß­geb­lich mit vor­an­ge­bracht hat, wer­den Men­schen, die in Grie­chen­land ankom­men, ohne Prü­fung der Asyl­grün­de zurück­ge­scho­ben. Seit Ende 2016 schiebt Deutsch­land wie­der Men­schen in das vom Krieg zer­rüt­te­te Afgha­ni­stan ab. Auch hält Deutsch­land wei­ter­hin am Dub­lin-Sys­tem fest, obwohl die­ses nach­weis­lich zu gro­ßen Über­las­tun­gen und kata­stro­pha­len Zustän­den in Flücht­lings­la­gern an den EU-Außen­gren­zen geführt hat. Und das sind nur eini­ge Bei­spie­le, die zei­gen, dass Deutsch­land sich in Bezug auf Asyl­po­li­tik in den letz­ten Jah­ren nicht mit Ruhm bekle­ckert hat.

Selbst Rück­füh­run­gen nach Liby­en, in dem für Geflüch­te­te laut EU-Berich­ten „KZ-ähn­li­che Zustän­de“ herr­schen, wo Men­schen gefol­tert, ver­ge­wal­tigt und ermor­det wer­den, wer­den von der Bun­des­re­gie­rung mitgetragen.

Zudem soll­te man nicht ver­ges­sen, dass Deutsch­land und der Glo­ba­le Nor­den all­ge­mein bei­spiels­wei­se durch Waf­fen­ex­por­te, unfai­re Wirt­schafts­be­zie­hun­gen, den Kli­ma­wan­del und post­ko­lo­nia­le Struk­tu­ren maß­geb­lich zur Desta­bi­li­sie­rung gro­ßer Tei­le der Welt beitragen.

Und wer soll das alles finan­zie­ren? / Das kön­nen wir uns nicht leisten!

Wir zitie­ren Pro­Asyl: “Flücht­lin­ge zu schüt­zen ist nach zwei Welt­krie­gen nicht nur kul­tu­rel­les Selbst­ver­ständ­nis in Euro­pa, son­dern auch eine huma­ni­tä­re und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tung. Und die­se Ver­pflich­tung kann kei­ner Kos­ten-Nut­zen-Rech­nung unter­lie­gen. Für die Bun­des­re­pu­blik sind das Asyl­grund­recht und das Völ­ker­recht ver­bind­lich – um dies umzu­set­zen, muss Geld bereitstehen.

Im Jahr 2016 wur­den 21,7 Mil­li­ar­den Euro aus dem Bun­des­haus­halt im Zusam­men­hang mit der Zuwan­de­rung von Flücht­lin­gen aus­ge­ge­ben, fast ein Drit­tel davon für »Flucht­ur­sa­chen­be­kämp­fung«, dar­un­ter auch zwei­fel­haf­te Maß­nah­men mit dem Ziel, Schutz­su­chen­de fern­zu­hal­ten. Ins­ge­samt wies der Bun­des­haus­halt 2016 laut Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­um immer noch einen Über­schuss von 6,2 Mil­li­ar­den Euro auf. Durch Steu­er­ver­mei­dung gehen dem Staat übri­gens schät­zungs­wei­se bis zu 100 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich verloren.

Ins­ge­samt lässt sich fest­hal­ten: Je mehr inves­tiert wird, je frü­her Flücht­lin­ge Zugang haben zu Deutsch­kur­sen, Aus­bil­dung, Qua­li­fi­zie­rung und Arbeit, des­to schnel­ler gewinnt die Gesell­schaft auch wirt­schaft­lich. Abschre­ckungs­po­li­tik hin­ge­gen hemmt Poten­zia­le: Arbeits­ver­bo­te, Unter­brin­gung in abge­le­ge­nen Mas­sen­un­ter­künf­ten, feh­len­der Deutsch­un­ter­richt oder Essens­pa­ke­te statt Bar­geld erschwe­ren jede Eigen­in­itia­ti­ve und kos­ten uns mehr als sie einsparen.”

Wir haben doch sowie­so schon kei­ne Woh­nun­gen in Seli­gen­stadt. Wo sol­len die denn alle hin?

Erst­mal geht es um eine Bereit­schafts­er­klä­rung sei­tens der Stadt, sodass gar nicht sicher ist, ob und wenn ja, wie vie­le, Men­schen über­haupt hier­her­kom­men werden. 

Ins­ge­samt kann man die Woh­nungs­knapp­heit nicht den Geflüch­te­ten oder Migrant*innen ankrei­den: Woh­nungs­man­gel gab es in Seli­gen­stadt auch schon vor 2015. Er ist ein Resul­tat schlech­ter Stadt­pla­nung: jah­re­lang wur­de hier, genau­so wie in vie­len ande­ren Städ­ten Deutsch­lands, am tat­säch­li­chen Bedarf, v.a. in Bezug auf sozia­len Woh­nungs­bau, vor­bei investiert.

Die Auf­nah­me von Men­schen, die vor Krieg, Gewalt und Per­spek­tiv­lo­sig­keit geflo­hen sind, nun mit Ver­weis auf den Woh­nungs­man­gel abzu­leh­nen, ist daher zynisch. Hier gibt es schlicht meh­re­re Bau­stel­len gleich­zei­tig: Wir brau­chen eine sinn­vol­le Stadt­pla­nung, mehr sozia­len Woh­nungs­bau und eine Erklä­rung Seli­gen­stadts zum “Siche­ren Hafen”.

Die Flücht­lin­ge kos­ten doch Seli­gen­stadt Unmen­gen an Geld!

Nein. Denn soll­ten die Städ­te im Bünd­nis “Siche­re Häfen” mehr Flücht­lin­ge auf­neh­men, kämen nur gerin­ge Kos­ten auf sie zu. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hat auf Anfra­ge von NDR Schles­wig-Hol­stein mit­ge­teilt, es wer­de wie bei allen ande­ren Asyl­be­wer­ber­ver­fah­ren vor­ge­hen – und damit einen Groß­teil der Kos­ten übernehmen.

Seli­gen­stadt bekommt dann zusätz­li­che Flücht­lin­ge zugewiesen

Nein. Denn .……

Die sind doch alle kriminell

Es gibt kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass Geflüch­te­te häu­fi­ger Straf­ta­ten bege­hen als der Rest der Bevöl­ke­rung. Laut Poli­zei­li­cher Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik ist die Zahl der Straf­an­zei­gen im Jahr 2015 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 0,1% gestie­gen und im Jahr 2016 um 0,7% gesun­ken. Kri­mi­no­lo­gi­sche Sach­ver­stän­di­ge erklä­ren zudem, dass Kri­mi­na­li­tät nicht mit einer bestimm­ten Staats­an­ge­hö­rig­keit zusam­men­hängt, son­dern in der Regel mit kon­kre­ten Lebens­la­gen. Ein Leben in Mas­sen­un­ter­künf­ten, Per­spek­tiv­lo­sig­keit, wenig Beschäf­ti­gung und Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen erhö­hen das Risi­ko, in eine Lebens­si­tua­ti­on zu gera­ten, die Straf­fäl­lig­keit begüns­tigt. Das bedeu­tet anders­her­um: Gesell­schaft­li­che Inte­gra­ti­on und eine Lebens­per­spek­ti­ve sind ein Schlüs­sel zur Ver­mei­dung von Straf­fäl­lig­keit – bei Men­schen mit und ohne deut­schen Pass.

Letzt­end­lich sind »Aus­län­der« oder »Flücht­lin­ge« so unter­schied­lich wie ande­re Men­schen eben auch – weder sind alle nett und harm­los, noch sind alle gemein und gefähr­lich. Der weit über­wie­gen­de Teil der Zuge­zo­ge­nen ver­hält sich rechtskonform.

Siche­rer Hafen Seligenstadt

Was ist mit Siche­rer Hafen gemeint?

Ein siche­rer Hafen im klas­si­schen Sin­ne ist ein Hafen, in dem Schif­fe ein­lau­fen kön­nen und in dem die Men­schen zunächst ein­mal in Sicher­heit sind (in Liby­en ist dem­entspre­chend z.B. kein siche­rer Hafen).

Aber auch Städ­te, Kom­mu­nen und Staa­ten ohne eige­nen See­ha­fen kön­nen sich zum Siche­ren Hafen im Sin­ne der See­brü­cke erklä­ren. Das bedeu­tet, dass sie sich bereit erklä­ren, über die vom Staat vor­ge­ge­be­nen Quo­ten (König­stei­ner Schlüs­sel) hin­aus­ge­hend aus See­not geret­te­te Men­schen aufzunehmen.

Ein Ziel der See­brü­cke ist es, mög­lichst vie­le die­ser Siche­ren Häfen zu schaf­fen und damit ein Zei­chen gegen die restrik­ti­ve Auf­nah­me­po­li­tik des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums zu setzen.

Bis­her haben sich in Deutsch­land 92 Städ­te und Kom­mu­nen zum Siche­ren Hafen erklärt (Stand: 18.09.2019). 

Was kann man gegen das Ster­ben im Mit­tel­meer tun? Bringt so eine Erklä­rung zum Siche­ren Hafen über­haupt etwas?

Die bes­te Lösung für das Ster­ben im Mit­tel­meer sind, ganz offen­sicht­lich, siche­re Flucht- und Migra­ti­ons­we­ge. Auch des­halb for­dern wir von der See­brü­cke eine Abkehr der euro­päi­schen und deut­schen Migra­ti­ons­po­li­tik weg von Abschot­tung hin zu gere­gel­ter und siche­rer Einwanderung.

Mit der Erklä­rung mög­lichst vie­ler Städ­te und Kom­mu­nen zu Siche­ren Häfen wol­len wir Zei­chen set­zen, die ins­ge­samt dazu füh­ren sol­len, dass die EU und die deut­sche Regie­rung die Geset­ze ent­spre­chend ändern.

Alle Anga­ben ohne Gewähr auf Rich­tig­keit und Vollständigkeit. 

Letz­te Ände­run­gen: 2. Sep 2021 @ 16:46 Uhr